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In dieser Rezension schreibe ich über das Buch Beyond the War on Invasive Species der amerikanischen Ökologin Tao Orion, das laut Untertitel eine alternative Perspektive zum Thema der ‚Ecosystem Restoration‘, also der Wiederherstellung von Ökosystemen, bietet, nämlich die der Permakultur.

Die Fragen die das Feld der Invasionsbiologie aufwirft – beispielsweise was passiert wenn gebietsfremde Arten („Exoten“) als Neulinge in ein bestehendes Ökosystem kommen (Neophyten/Neobiota) – bringen wichtige Erkenntnisse mit sich. Jedoch scheinen diese zentralen Überlegungen in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte schnell in den Hintergrund zu rücken und Platz zu machen für sehr emotionale, teilweise irrationale und offenbar ideologisch geprägte Argumente. Die Frage woran es liegt, warum wir uns so sehr mit diesen Nebenschauplätzen befassen und nicht mit den übergeordneten Ursachen, taucht für mich immer wieder auf, sei es beim Lesen wissenschaftlicher Texte oder in alltäglichen Diskussionen mit Mitmenschen und bei Kursen.

Ich möchte hier Orion‘s Buch nutzen um einen alternativen Blick auf die Debatte anzubieten, gleichzeitig aber auch andere Quellen aufzeigen die dazu einen Beitrag liefern. Statt die Inhalte des Buchs zusammenfassend wiederzugeben möchte ich vielmehr die wichtigen Argumente herausstellen und in den Kontext der derzeit geführten Debatte „Exoten – Neophyten – Invasive“ setzen. Dabei möchte ich durch die verwendeten Quellen die Möglichkeit bieten, sich dieses Wissen selbst zu erschließen. Gleichzeitig versuche ich meinen Erkenntnisweg nachzuzeichnen und meine persönlichen Einschätzungen so transparent zu machen wie es mir nur möglich ist.

Inhaltsverzeichnis

Die Fakten

Wie kam ich zu diesem Buch?

Ich stieß zum zweiten Mal auf den Buchtitel als ich kürzlich diverse Podcasts zum Thema Ökologie gehört habe und erinnerte mich dann zurück, dass Graham Bell mir zuerst das Buch in einem Gespräch über dieses Thema empfohlen hatte. Graham ist leider im diesem Frühjahr 2023 viel zu früh verstorben. Ich kann mir trotz unserer sehr kurzen Bekanntschaft gut vorstellen dass es ganz in seinem Sinne gewesen wäre, diesen Beitrag zur Diskussion zu leisten, insofern möchte ich diesen Artikel seinem Gedenken widmen. Bei der britischen Permakultur-Vereinigung ist ein ein sehr schöner Nachruf1 veröffentlicht.
In seinem Sinne also zurück zum Thema: Unser Gespräch kreiste um den Punkt, dass es aus einer ganzheitlichen Perspektive ‚invasive Arten‘ gar nicht geben kann, sie daher kein Problem sein können – sie können höchstens als Symptom für und Anzeiger von problematischen Veränderungen interpretiert werden. Spätere Recherche entlang dieses Argumentes führte sehr schnell zu einer nahezu wortwörtlichen Bestätigung im Titel eines Artikels im Earth Island Journal2 : „Invasive Arten sind nicht das tatsächliche Problem, sie sind lediglich ein Symptom.“
Von dort hangelte ich mich weiter zu der Podcast-Folge „A New Look At Invasive Species“ bei Viewpoints Radio3, in der Tao Orion und der Brite Fred Pearce über ihre Forschungen und Erkenntnisse sprechen und einen alternativen Blick auf das Themenfeld anbieten, das im wissenschaftlichen Sinn als ‚Invasionsbiologie‘ zusammengefasst wird. Pearce geht sogar noch einen Schritt weiter als Orion mit seiner Auffassung, dass diese Arten womöglich unsere besten Partner und größte Chance sein können, wenn es uns in der Zukunft um die Wiederherstellung von Ökosystemen geht. Seine Begründung ist nachzulesen in seinem Buch ‚The New Wild‘4. Es gibt also auch anderslautende Argumente zu der gemeinhin gültigen Auffassung, dass Neobiota als gebietsfremde Organismen eine Bedrohung für heimische Ökosysteme darstellen.

Invasive, Exoten, Neophyten – Die Diskussion über Neobiota

Während ich begann Tao Orion‘s Buch zu lesen versuchte ich mir ein Bild des derzeitigen Standes der Debatte zu machen. Die Internetsuche führt natürlich zuerst zu Medien und den staatlichen und über-staatlichen Institutionen die beauftragt sind, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Begebe ich mich beispielsweise beim Deutschlandfunk auf die Suche nach „invasive(n) arten“ und lese die Überschriften der Beiträge, so entsteht sehr schnell ein Bild von diesen Arten als immense Bedrohung für die lokalen Ökosysteme und unseren Wohlstand, und meist neigt der Tenor dieser Beiträge in Richtung alarmistische Hysterie. Dasselbe wiederholt sich bei öffentlich-rechtlichen Medien und staatlichen Institutionen wie Ministerien und Parteien, also auf allen Seiten von denen ich mir einen sachlichen Umgang mit dem Thema erhoffe. Wenn ich dort jedoch weiterlese, dann beißen sich die dortigen Angaben und Behauptungen sehr schnell mit dem was in der Ökologie als bekannt gilt.

Ein Bestand an Japan-Knöterich – sieht so bald ganz Deutschland aus?
Awinch1001, CC BY-SA 4.0

„Mit der Beurteilung gebietsfremder Arten ist (…) immer eine normative, auf individuellen oder gemeinschaftlichen Wertmaßstäben beruhende Bewertung verbunden.“ Diese Ansicht des Bundesamtes für Naturschutz5 teile ich absolut, denn aus den zugrunde liegenden Wertmaßstäben ergibt sich natürlich die Perspektive oder Blickrichtung auf eine Sache. Unzweifelhaft finden sich heutzutage zunehmend häufiger Beispiele von sehr schnellen und unvorhersehbaren Veränderungen in Ökosystemen, und dass diese mit dem nicht zu leugnenden ‚6.Massensterben‘ in irgendeiner Form zusammenhängen liegt wohl auch auf der Hand, wie könnten sie auch nicht. Wenn jedoch das deutsche Umweltministerium6 behauptet dass „invasive und gebietsfremde Organismen (…) weltweit eine der Hauptbedrohungen für die Artenvielfalt, natürliche Lebensräume und Ökosysteme dar(stellen)“ dann fühle ich mich zu einer ganz wichtigen Korrektur veranlasst: Der Fehler in dieser Aussage ist meiner Meinung nach der Plural, denn den unangefochtenen Spitzenplatz in der Liste der „schadhaften“ Organismen hat heute nachweislich Homo sapiens! Genauer gesagt sprechen wir hier ausschließlich vom modernen industrialisierten Homo sapiens der letzten zwei Jahrhunderte, dem gerade begonnenen Zeitalter des Anthropozän. Früheren Menschen gelang es scheinbar ganz gut, ihren Platz im Ökosystem zu finden ohne größeren Schaden anzurichten, spätestens seit der Industrialisierung erzeugt unsere Spezies jedoch Probleme die ihr Überleben gefährdet.
Es scheint mir daher sehr vereinfachend, eine Veränderung in einem dynamischen lebendigen System einer bestimmten Pflanzen- oder Tierart zuzuschreiben (und dabei Homo sapiens auszublenden) und wird meine ich der Komplexität von natürlichen Systemen nicht gerecht. Wenn wir uns als ‚Holobionten‘ vor Augen führen, dass selbst unser Körper ein sich immerzu wandelndes System ist, das aus mehr fremden Organismen als körpereigenen Zellen besteht, warum gelingt es uns dann nicht diesen Blick auf unsere Umwelt zu erweitern? Zu diesem Thema empfehle ich übrigens den sehr interessanten Vortrag von Martin Grassberger7. Es ist also immer eine Frage des Bildausschnitts und des Blickwinkels, wie man einen beobachteten Teil des Gesamtsystems wahrnimmt. Je höher die Auflösung und der Detailgrad sind, desto mehr treten der Kontext und die Verbindungen zum weiteren System in den Hintergrund.

Zoomen wir also zuallererst aus: Es gilt zu klären worüber wir eigentlich genau reden, damit befasst sich Tao Orion im zweiten Kapitel ihres Buchs.

Ist Verbreitung mit Invasivität gleichzusetzen? Die Ausbreitung des Menschen über die Jahrtausende.
Juschki, CC BY-SA 4.0

Welche Grundannahmen haben wir wie ein Ökosystem funktioniert?
In der Ökologie gibt es drei Paradigmen oder Ansichten zur Natur von Ökosystemen, von denen nur das letzte (3) den heutigen Wissensstand der Menschheit widerspiegelt:
Ökosysteme sind immer und überall in ständigem Wandel, was Teil ihrer unglaublichen Komplexität ist. Man kann sie abstrahiert unmöglich begreifen und niemals gänzlich erfassen, deshalb sollte man als „absolut“ dargestellte Wahrheiten immer kritisch hinterfragen. Und, vielleicht dabei der wichtigste Punkt: Der Mensch ist und war schon immer untrennbarer Teil dieser Systeme, eine ‚Natur‘ außerhalb oder ohne den Menschen gibt es nicht.

Der Vollständigkeit halber und zur Abgrenzung seien hier die zwei überholten Paradigmen genannt:
(1)
Nein, natürliche Systeme sind definitiv nicht linear und voraussehbar. Und nein, die Natur ist auch keine unerschöpfliche Rohstoffquelle.
Diese Annahmen traf man zu Beginn der Industrialisierung und das Handeln dass daraus entstand verursachte erst die heutige Problematik. Albert Einstein brachte es auf den Punkt: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Dass sich Teile der fraglichen und heute wissenschaftlich überholten Annahmen (selbst an höchster Stelle in den verantwortlichen Ministerien) immer noch hartnäckig halten, kann man eigentlich nur so erklären, dass sie durch dominante Interessen ideologisch gefärbt und gestärkt sind. Nach allem was man über die soziopathische Natur von Konzernen8 und globalkapitalistische Anstrengungen zur Gewinnmaximierung heutzutage weiß, halte ich es für sehr sehr wahrscheinlich, dass die öffentliche Debatte maßgeblich beeinflusst wird und dabei ökologische sowie auch sozial-gesellschaftliche Interessen immer hinter dem Profitstreben zurückbleiben. Gerade die deutsche Politiklandschaft ist bekanntermaßen massiv vom Profitlobbyismus geprägt, wie etwa Marco Bülow in seinem Buch ‚Lobbyland‘9 beschreibt.

(2)
Ende des 20. Jahrhunderts näherte man sich dann endlich einem ganzheitlicheren Blick an, ohne jedoch über unsere künstlich gezogenen Trennungen hinweg zu kommen: Vor allem das irreführende Gegensatzpaar ‚Natur‘ vs. ‚Kultur‘ erzeugt auch heute immer noch einen blinden Fleck in der Wahrnehmung unseres Selbst und der Auswirkung unseres Handelns auf unsere Umwelt. Dort wo der Mensch ist herrscht Kultur, jenseits davon befindet sich angeblich die Natur, in Wäldern, Naturparks und Schutzgebieten. Auch die Trennung von Ökonomie, Politik und Sozialem hält uns meine ich oft davon ab, die Verknüpfungen zwischen und innerhalb dieser Felder zu erkennen.
Für schwerwiegender halte ich jedoch die diffuse Mischung aus konservativer Abneigung gegen Wandel und Furcht vor Veränderungen, die heute quer durch alle gesellschaftlichen Milieus weit verbreitet zu sein scheint. Die Evolution lehrt uns dass natürliche Systeme immer im Wandel sind, dennoch sträubt sich der moderne Mensch und möchte glauben dass es einen “natürlichen“ Zustand außerhalb der menschlichen Kultur gibt, zu dem ein gestörtes Ökosystem immer wieder versucht zurückzukehren.

Achtung – genau ab diesem Schild beginnt die Natur!
Thomas Wilhelmi, CC-BY-SA 4.0

Diese Auffassung erkenne ich zum Beispiel oft bei Naturschutzverbänden und Artenschützern. Oberstes Ziel scheint oft die Bewahrung eines natürlichen Zustands, der durch den kulturellen Eingriff des Menschen bedroht ist. Zumeist befasst man sich dabei mit klar abgegrenzten Naturschutzgebieten und dem Schutz bestimmter einzelner Pflanzen- und Tierarten. Diese extreme „Nahaufnahme“ die strenge Artenschützer einnehmen war mir lange fremd und unerklärlich. Einen Beitrag zur Erklärung liefert die aktuelle Hirnforschung, nach der sich die beiden Hirnhälften vor allem durch ihre Art der Wahrnehmung unterscheiden: Konzentration aufs Detail versus Gesamtzusammenhang. Nach dem britischen Psychiater Iain McGilchrist sind diese in ein Ungleichgewicht geraten und der moderne Mensch ist deswegen heute weniger in der Lage kontextuell zu denken und Verbindungen wahrzunehmen. Er kritisiert dass wir diese Blindheit kultivieren, indem wir all unsere Anstrengungen auf Fokussierung und Spezialisierung richten. Dies beginnt seiner Ansicht nach schon in der frühen Erziehung und setzt sich in Bildung und Forschung fort, hin zu einem Zustand in dem der Mensch nicht mehr in der Lage ist, die systemische Natur seiner Umwelt zu begreifen. Seine sehr klare und schlüssige Argumentation lohnt sich selbst nachzuvollziehen10.

(3)
Wenn wir nun vernünftigerweise vom 3. Paradigma (wie oben genannt) ausgehen, dann sind wir auf dem besten Weg um uns natürliche Systeme überhaupt sichtbar und begreiflich zu machen um die Ursachen für unsere Probleme zu erkennen.
Eine systemische, möglichst ganzheitliche Betrachtung ist wohl das beste wozu der Mensch fähig ist: Wenn wir aufhören die Elemente von Systemen als Einzelbestandteile für sich isoliert und scharf fokussiert ohne ihren Kontext zu betrachten, und unseren Blick auf die Beziehungen zwischen den Elementen wenden, dann tritt das hochkomplexe Netz aus Wechselwirkungen hervor das wir versuchen mit ‚Natur‘ zu beschreiben. Tao Orion trifft es mit einer Kapitelüberschrift sehr gut in der sie dazu auffordert, immer zuerst das „Makroskop“ einzuschalten. Wenn wir diesen Schalter betätigen dann wird plötzlich auch deutlich, dass wir selbst untrennbarer Teil des Systems ‚Natur‘ sind und also solcher immer – egal ob wir das wollen oder nicht – sozusagen nicht anders können als einzugreifen und so unweigerlich „evolutionär“ zu handeln.
Im Menschen steckt ein immenses Potential, wir können die invasivste Spezies des Planeten im schadhaften Sinne sein oder wir könnten bewusst „ko-evolutionäre“ Teile des Gesamtsystems ‚Natur‘ sein. Was wir mit diesem Potential anfangen hängt vor allem davon ab, wie wir unsere Rolle im Gesamtsystem verstehen. Wenn wir auf der Basis dieses Verständnisses und so gut informiert wie es uns nur möglich ist gezielte und bewusste Eingriffe vornehmen, dann praktizieren wir ‚Ko-Evolution‘, wie der Ökologe Dave Jacke den Begriff verwendet. Was jedoch die westlich geprägte Menschheit seiner Auffassung nach derzeit davon abhält ist ihre Auffassung, von der Natur getrennt zu sein. In einem sehr hörenswerten Interview beschreibt er dies als „das psychosoziale Entwicklungsstadium eines Zweijährigen“11. Nur allzu selten werden diese Grundannahmen also hinterfragt, diese „Brille“ durch die wir die Welt wahrnehmen und durch die beispielsweise in unserem Fall Arten die in ein Ökosystem einwandern als Problem wahrgenommen werden. Tao tut das in ihrem Buch konsequent und beschreibt die Auswirkungen auf unseren Umgang mit der Umwelt.

An dieser Stelle möchte ich bei aller geäußerten Kritik am Mainstream-Narrativ von der Bedrohung durch fremde Arten das Grundsatzpapier „Neobiota – Anregungen für eine Neubewertung“ des BUND12 lobend erwähnen. Ich war nach all der eintönig einseitigen Betrachtung der anderen Medien sehr positiv überrascht, wie beispiellos differenziert sich hier mit der Thematik befasst wird. Mit Abstand war dies für mich die hilfreichste Quelle um die Diskussion möglichst sachkundig, differenziert und wertneutral zu betrachten.

Über die Autorin

Tao Orion ist eine amerikanische Agrarökologin, lehrt Permakultur-Design an Hochschulen und ist mit ihrem Partner beratend tätig im Bereich Renaturierung, Wassermanagement & Waldwirtschaft. Mehr über sie kann man auf der Verlagsseite oder unter https://www.resiliencepermaculture.com/ erfahren.

Das Buch und sein Beitrag zur Diskussion

Was schlägt Tao Orion also vor zum Umgang mit den Neuankömmlingen in unseren Ökosystemen?
Im Buch analysiert sie in vielen Beispielen die ‚worst practices‘ die im Umweltschutz, in der Landnutzung und im Management von Ökosystemen vorherrschen: Es werden massive und kostspielige Eingriffe vorgenommen, allein in den USA werden jährlich 137 Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung von invasiven Arten ausgegeben. Ein Teil dieser Ausgaben bezahlen das hochriskante Ausbringen von Umweltgiften mit unzureichend erforschten Folgen. Diese enorme Aufwendung von Energie und Ressourcen bringt offensichtlich weder eine Lösung noch eine Besserung mit sich, denn die genannten Probleme sind ja über die Jahre nicht verschwunden sondern eher zahlreicher und dringender geworden.
Orion analysiert die Situation aus permakultureller Sicht und zeigt sehr klar auf, wo die Probleme mit unserer aktuellen Praxis im Umweltschutz liegen und welche konkreten alternativen (und wohl besseren) Handlungsmöglichkeiten denkbar und möglich sind. Ihr „roter Faden“ lässt sich am besten in der Abfolge der Inhalte erkennen:

Die Ethik der Pflanzenschutzmittel-Industrie darf angezweifelt werden.
National Archives at College Park – Still Pictures, Public domain

Der Inhalt

1. Gegen alle Ethik befasst sich mit der Vermarktung von Pflanzenschutzmitteln und den Motivationen und Begründungen für deren Einsatz. Besonders augenöffnend und erschreckend fand ich die gigantischen Ausmaße der Vermarktung und Verbreitung im Licht der Tatsache, dass diese Stoffe wohl bestenfalls als experimentell, wenn nicht gar als gefährlich betrachtet werden müssen.
Invasionen und Industrieinteressen – das Feuer schüren – das Vorsorglichkeitsprinzip – Aktive und inerte Bestandteile – ein lang bleibendes Erbe – Herbizideinsatz in der Praxis – „non-target“ Effekte und die Pestizid-Tretmühle – nicht-chemische Kontrollmaßnahmen – ein rationalerer Ansatz für die Wiederherstellung von Ökosystemen

2. Invasive Arten verstehen bringt Klarheit über die Definition des Begriffs aus einer systemischen Perspektive. Ohne diesen Perspektivenwechsel wird das eigentliche Problem, beziehungsweise dessen Ursachen, nicht sichtbar.
Der reduktionistische Ansatz – wie wird Schaden beurteilt? – ein systemischer Ansatz

3. Denken wie ein Ökosystem vermittelt sehr anschaulich anhand ökologischer Prinzipien, wie eine systemische und dynamische Wahrnehmung von Ökosystemen ein völlig anderes Bild invasiver Arten zeichnet.
Die Natur von Ökosystemen – invasierbare/invasible Ökosysteme – Beispiel der Tamariske am Colorado – Habitat versus Nische – Störung – Sukzession – Sukzession und Invasion – Stabilität, Resilienz und Wandel – Fortschreiten

4. Eine Frage der Zeit spricht vor allem über die zeitliche Dimension, die oftmals in der menschlichen Wahrnehmung einen blinden Fleck darstellt. Diese Blindheit für Sukzession und natürlichem Wandel lässt sich mit der Anwendung ökologischer Prinzipien überwinden.
Invasiv, Infektiös, Kollaborativ – Checks and Balances (dynamische Systeme!) – Biodiversität – die Beziehung zwischen Invasion und Auslöschung – Klimawandel und Sequestrierung von Kohlenstoff – bewusster Wandel in Ökosystemen – Habitatvernetzung und gelenkte Migration – Invasion als ungesteuerte Migration

5. Probleme in Lösungen verwandeln beschreibt die offensichtlichen und groben Fehler im Management unserer natürlichen Ressourcen und bietet eine alternative Sichtweise welche die sinnvolle Integration von Neobiota erlaubt. Sie unterstreicht die äußerst wichtige Rolle von Pionierspezies, die natürlich vor allem dort auftauchen wo ihre Eigenschaften am dringendsten benötigt werden. Sie schlägt vor wie wir uns diese Eigenschaften zunutze machen können um ökologische Probleme zu lösen, vor allem in Bezug auf die biogeochemischen Kreisläufe der Erde.
Stickstoff – Phosphor – Bestäuber – Sauberes Trinkwasser – Wiederherstellung von Quellen – Probleme in Lösungen verwandeln

6. Jeder gärtnert/ist ein Gärtnerin räumt mit dem Mythos der „Wildnis“ auf und zeigt, wie der Mensch kulturhistorisch schon immer seine natürliche Umgebung beeinflusst und geprägt hat. Besonders geht sie dabei auf die Rolle von kulturhistorischem und indigenem Wissen bei der Kultivierung von Land ein. Sie beschreibt wie dieses Wissen in modernes Management einfließen und so eine Vielzahl von Erträgen liefern könnte. Besonders interessante Nebennotiz an dieser Stelle: Anhang II enthält eine Liste der Arten die schon vor der Kolonialzeit in alle Welt verbreitet wurden mit über 100 Einträgen – nahezu die Gesamtheit der Pflanzen von denen wir uns heute ernähren!
Das Füllhorn der Natur – Ansteckungskrankheiten und „Rewilding“ in Amerika – der Mythos der „Wildnis“ – Invasionen in vernachlässigten Gärten – Natur und Kultur als Ko-kreationen – Vielfalt in der Speisekammer & Wiederherstellung der Natur

7. Die „Wiederherstellung wiederherstellen“, also eine Reform unserer Praktiken der Landnutzung, kann nur mit einem holistischen Blick erfolgen und muss den Menschen als Teil des Systems betrachten. Daraus und aus kulturhistorisch-indigenem Wissen können sinnvolle Management-Praktiken entstehen. Letztendlich müssen jedoch Landschaften wieder von Menschen genutzt und gepflegt werden, dann sind auch lokale nachhaltige Ökonomien möglich.
Erträge erzielen – eine Wiederherstellungs-Ökonomie

8. Permakultur in der Wiederherstellung einsetzen bettet die Ethik und Gestaltungsprinzipien in einen beispielhaften Designprozess ein und beschreibt anhand konkreter Beispiele, wie die Prinzipien der Permakultur im Kontext des U,mweltschutzes angewandt werden können.
Eine ethische Basis – Permakultur-Designprinzipien in der Praxis umsetzen – Phase 1: Das „Makroskop“ einschalten – Phase 2: Standortanalyse – Phase 3: Einen Plan erstellen – Phase 4: Umsetzung – Alles zusammenführen

Der Beitrag zur Diskussion

Das Buch lieferte mir auf mehreren Ebenen eine sinnvolle Ordnung der Argumente, die von allen Seiten in die mitunter sehr emotional gefärbte und daher undurchsichtige Debatte einfließen.

Orion beginnt mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, die unsere Rolle im Gesamtökosystem sichtbar werden lässt. Plötzlich wird so deutlich, dass die Probleme nicht bei der Tigermücke oder dem Japanischen Knöterich liegen und dass, wenn man das Wirkungsgeflecht zurückverfolgt, letztendlich durch unser Tun offenbar Löcher in ein Netz aus wechselseitigen Beziehungen gerissen wurden. Das Tier oder die Pflanze ist an dieser Stelle also nur ein sichtbares Anzeichen dieser sonst unsichtbaren Störung des Systems.

Die hohe Komplexität von Nahrungsnetzen, entstehend durch eine Vielzahl von Verknüpfungen zwischen den Elementen und deswegen immer dynamisch im Wandel.
Tavis K. Anderson and Michael V. K. Sukhdeo, CC-BY-SA-4.0

Tao Orion bringt mit der Permakultur einen ethisch fundierten Designansatz ins Spiel, der mit geeigneten Werkzeugen zur Analyse und systemischen Gestaltungsprinzipien dafür sorgt, dass die Nutzung unserer Umwelt zumindest schadlos, im besseren Fall sogar in Einklang mit der Natur ablaufen kann. Die Wichtigkeit des Beobachtens und des Lernens von natürlichen Prozessen ist hier zentral und bildet zusammen mit den ethischen Prinzipien eine wichtige Grundlage für einen respektvollen und nachhaltigen Umgang mit unserer belebtem Umwelt. Werden Symptome wie das der ‚invasiven‘ Arten sichtbar dann beginnt die Permakultur mit passenden Werkzeugen zur Analyse.

Ein solches Werkzeug ist beispielsweise eine sorgfältige Nischenanalyse zur Feststellung was diese Art kann und macht und warum sie hier auf die wahrgenommene Art in Erscheinung tritt. Das ist eine wichtige Hausaufgabe die erstaunlicherweise und leider selten gemacht wird bevor in Systeme eingegriffen wird die sich über Millionen Jahre evolutionär entwickelt haben. Oft würde bei der Nischenanalyse deutlich, dass es sich um Pflanzen handelt die zu den ruderalen Pionieren zählen und als solche fast ausnahmslos in Ökosystemen auftauchen die zuvor gestört wurden. Wie Orion aufzeigt kann dies ein massiver direkter Eingriff sein (eine Flußbegradigung, eine Rodung, Bergbau, usw.) oder eine schleichende Veränderung von biogeochemischen Prozessen sein (z.B. Stickstoffeintrag in Gewässer, Pestizide in Böden). Die Rolle oder Aufgabe dieser Arten ist die der „Notfalleinsatzkräfte“ der Natur, ihre von uns wahrgenommenen Auswirkungen gewissermaßen ihr „Blaulicht“.

Die Gestaltungsprinzipien der Permakultur sind hervorragend geeignet um sich solchen Fragen anzunähern die offensichtlich einen systemischen Blick erfordern, das zeigt Orion besonders deutlich. Sie lassen sich gewinnbringend anwenden um in der Landnutzung sinnvolle Strategien und Praktiken zu entwickeln. Am meisten Anwendung finden wohl die von David Holmgren verschriftlichten 12 Gestaltungsprinzipien13. Besonders treffend im Kontext der Diskussion finde ich aber eines von Bill Mollison‘s über die „Zwölf“ hinausgehenden Gestaltungsprinzipien das auch Tao Orion im Buch gesondert betrachtet: In „the problem is the solution“ liegt eine alternative Sichtweise, die im Kontext von verbreitungsstarken Arten und Pionierpflanzen besonders hilfreich sein kann. Häufig führt diese Umkehrung, dieser Blick aus der entgegengesetzten Richtung, zu neuen und vor allem unterschiedlichen Ansichten und Ergebnissen. Besonders bei Arten die sich gerne stark verbreiten könnte man in vielen Fällen dem Motto „if you can‘t beat it – eat it“ („Wenn du es nicht besiegen kannst iss es.“) folgen und das vermeintliche Problem gar in eine schmackhafte Lösung umkehren. Die Roten Amerikanischen Sumpfkrebse in Berlin werden offenbar schon gastronomisch verwendet14, ebenfalls essbar ist der junge Japan-Knöterich, Fallopia japonica. Vorher sollte man jedoch genau auf den Standort und dessen Geschichte schauen, denn er ist auch eine ausgezeichnete Pflanze um Böden von Giftstoffen wie Schwermetallen zu reinigen, also besser nicht von ehemaligen Tankstellen oder vom Autobahnrand ernten. Von der anderen Seite betrachtet ist dies natürlich ein tolles Potential das man gezielt in der Landschaftspflege einsetzen könnte. Er enthält darüber hinaus Stoffe mit medizinischem Nutzen (antioxidativ und entzündungshemmend), wird als exzellente späte Insektenweide betrachtet, und ist attraktiv als Nistplatz von über 10 Singvogelarten. Es steckt also ein hohes Nutzpflanzenpotential in ihm, dennoch werden die wenigsten Nutzen im Wikipedia-Eintrag erwähnt – der längste Absatz ist übrigens der zur Bekämpfung. Nebenbei bemerkt ist Fallopia japonica wie die meisten unserer unerwünschten „Eindringlinge“ nicht von allein eingewandert, sondern wurde von Menschen als Zier- und Futterpflanze eingeführt.

Andere als invasiv wahrgenommene Arten bieten womöglich keine solch wahrnehmbaren Nutzen, man darf sich jedoch sicher sein dass es einen Grund hat dass diese Spezies auftaucht und dass diese an dieser Stelle in Raum und Zeit eine evolutionär begründete Rolle erfüllt. Die komplexen Prozesse und den systemischen Wandel in dem das Lebewesen diese Rolle spielt gilt es zu ergründen und verstehen – und das am besten bevor man in ein System eingreift.

Mein Fazit

Aus der Permakultur auf das Thema kommend war ich insofern „vorbelastet“, dass die Fixierung auf einzelne Arten als angebliche Urheber des Niedergangs ganzer Ökosysteme aus einer systemischen Sicht absolut nicht plausibel ist. Es ist sicherlich sehr menschlich, nach möglichst einfachen Erklärungen für das unglaublich komplexe Gesamtsystem ‚Natur‘ zu suchen. Das steht jedoch in direktem Gegensatz zur tieferen Erkenntnis von dynamischen Prozessen und den Netzen aus Wechselbeziehungen, die zwischen allen Lebewesen gewoben sind und sich immerzu neu verflechten. Dieser Blick hat sich über das letzte Jahrhundert bis heute weiter getrübt indem die globalkapitalistische Ideologie alle Bereiche des Lebens durchdrungen und alle alternativen Anschauungen überlagert hat. Auch das Feld der Invasionsbiologie muss natürlich von diesen dominanten Ansichten und kommerziellen Interessen geprägt sein, die den Blick auf die Realität verschleiern und so vernünftige Lösungen behindern.

Ich bin sehr dankbar für die sehr schlüssige Analyse von Tao Orion, die für mich das komplexe Gewaber von Ansichten, Argumenten und Fakten in eine logischen Reihenfolge sortierte, beginnend mit der Frage durch welche Brille wir denn überhaupt Ökosysteme betrachten. Das Buch macht unsere Rolle im Gesamtökosystem gut sichtbar und zeigt so, welche Veränderungen nötig sind um die Probleme zu lösen die uns Neobiota als Indikatoren anzeigen. In diesem Sinne nicht nur ein unverzichtbares Buch für Menschen die diese Thematik in irgendeiner Weise kommunizieren wollen (Bildung), sondern auch für solche die praktisch im Bereich des Umweltmanagements im weitesten Sinne arbeiten.

Was meiner Meinung nach ebenfalls sehr deutlich aus dem Buch hervorgeht ist die Wichtigkeit von Design. Mit Design meine ich Gestaltung die sich in bestehende Kreisläufe einfügt. Es sollte immer eine bewusste und wohlüberlegte Entscheidung sein, auf welcher Ebene und wie man in Ökosysteme eingreift, und sie sollte immer nach Maßstäben von Effektivität und Effizienz gewählt sein. Ökologie ist schließlich die Wissenschaft des globalen „Haushaltens“. Eines der schönsten Beispiele die mir dazu einfallen ist die gezielte Ansiedlung von Bibern an Oberläufen von Flüssen. Gemessen am nötigen Input (nahezu null) und den zu erwartenden Erträgen (Biodiversität, Biotopvernetzung, Artenschutz, Wasserspeicherung, Hochwasserschutz, Sedimentablagerung, etc.pp.) ist das eine höchst effiziente Maßnahme. Vergewissern Sie sich selbst was für ein regeneratives Potential in diesem Nager steckt, es gibt dazu zahlreiche Dokumentarfilme im Internet15 und das wunderbare Buch Eager von Ben Goldfarb16. Verglichen mit den Auswirkungen solch einer Schlüsselspezies ist der strenge Schutz einzelner Arten aussichtslos und demnach eine grobe Verschwendung von Energie und Ressourcen. Hier ist der Biber ein gutes Beispiel dafür was möglich ist, wenn auf einer höheren Systemebene eingegriffen wird.

Der Biber – eine unserer wenigen heimischen Schlüsselspezies und zu Recht streng geschützt.
English: NPS Photo / Emily Mesner, Public domain

Aus systemischer Sicht ist natürlich die Abschaffung der industriellen Monokultur und Massentierhaltung der größte Hebel überhaupt den wir betätigen können. So utopisch diese Vorstellung heute auch noch sein mag, wenn man das Thema offen, ernsthaftig und vor allem ganzheitlich angeht, dann treten sehr schnell unbequeme Wahrheiten zutage, die Revolutionen und nicht nur Reformen erfordern würden. Insofern hat Tao Orion sicher recht wenn sie behauptet dass wir „zuerst eine Veränderung in unseren Herzen und unserem Bewusstsein bewirken müssen“ („We need to have a change of hearts and minds“) bevor wir unsere Probleme bei der Wurzel anpacken und endlich die Hauptursache beheben können. Sollten wir Anthropozänlerinnen noch länger Teil des globalen Ökosystems bleiben wollen, dann müssen wir schnellstens das vorhandene ökologische Wissen effektiv und auf intelligente Art nutzen und weiterentwickeln – es ist verfügbar17,

Fußnoten

Weitere interessante und nützliche Quellen

Weiterführende interessante Quellen zu natürlichen Systemen und Ökologie:

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Jörn Müller

Jörn Müller ist durch seinen Drang zur Nachhaltigkeit über die Jahre vom Kulturwissenschaftler über den Baumpfleger und den Gartenbauer zur Permakultur gekommen. Heute wendet er als Waldgärtner deren Prinzipien auf das Design, die Planung und Umsetzung von Ökosystemen für den menschlichen – und vor allem enkeltauglichen - Nutzen an. Besonders prägend war für ihn der Forest Garden Design Course bei Martin Crawford im südenglischen Dartington, einem der ältesten Waldgartensysteme im gemäßigten Klima. Zuletzt übersetzte er dessen Waldgarten-Handbuch Creating A Forest Garden (erscheint im Juni 2021 bei OLV). Er experimentiert seit 2017 im Grünheck, einer Fläche im nordbadischen Dossenheim mit Waldgartenprinzipien und Pflanzengemeinschaften, Techniken für geschlossene Ressourcenkreisläufe wie Kompostierung, Mulchwirtschaft und Pflanzenkohle, und vermehrt für Waldgärten besonders geeignete Nutzpflanzen.

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